Zur frohen Aussicht

Ausstellungen ⭔ Zur frohen Aussicht ⭔ Stefanie Salzmann, Raphael Stucky, Willimann/Arai, Feminist Alpine Club (mit Josiane Imhasly & Martina-Sofie Wildberger) ⭔ 08.07.-17.09.2023

FEMINIST ALPINE CLUB (mit Josiane Imhasly & Martina-Sofie Wildberger), Das Manifest, 2023, Plakatwand, Digitaldruck A1, 16 Motive

Die Ausstellung Zur frohen Aussicht findet im Sommer 2023 zum vierten Mal statt. Sie hat sich seit 2015 zu einer lebendigen Plattform für das jüngere Schweizer Kunstschaffen in den Walliser Bergen entwickelt. Der Fokus der Zur frohen Aussicht liegt in der Auseinandersetzung mit dem Bergdorf Ernen. Die Kunstschaffenden reagieren aus ihrer Praxis und ihrem Interesse heraus auf das Dorf und die Umgebung. Unter diesen Vorzeichen entstanden seit Anfang des Jahres vier Werke, die nicht nur im Dorfkern Ernens zu sehen sind, sondern das Rhonetal nach Sion hinunter und zum Rhonegletscher hinauf erkunden.

Die Performance-Künstlerin Martina-Sofie Wildberger rief den FEMINIST ALPINE CLUB (FAC) während ihres ersten Hochtourensommers 2017 ins Leben. Sie postete Fotos von hochalpinen Gipfelbesteigungen mit Pickel, Seil und Steigeisen mit den Hashtags #feministalpineclub und #fac auf Instagram. Ihr Ziel war es, langfristig ein künstlerisches Kollektiv zu bilden, das sich aktivistisch und aus feministischer Perspektive in alpinistische und künstlerische Kontexte einbringt. In Ernen ist mit der Plakataktion Das Manifest nun das erste kollektive Projekt des FAC zu sehen; die Idee dafür entstand auf dem Weg zu einer Skitour zwischen Martina-Sofie Wildberger und Josiane Imhasly. Das Manifest besteht aus 16 verschiedenen, in roter Typografie gesetzten Plakaten mit Sätzen wie Näher, langsamer, flacher! | Wie pisse ich mit dem Klettergurt? | Zu grosse Tritte für die kleinen Schritte. | Ich habe Angst. Ich habe keine Angst. Einige Plakate wirken zunächst humorvoll, nehmen aber Bezug auf ganz gebirgspraktische Herausforderungen, denen sich Frauen und all jene stellen, die nicht dem normierten, männlichen, trainierten, schlanken und gesunden Körperideal entsprechen. Was, wenn die in den Felsen gehauenen Tritte zu gross sind? Und wie können Frauen in einer Seilschaft mit dem Klettergurt sicher urinieren? Gefühle spielen in den Plakaten ebenso eine Rolle wie der Aufruf zu offener Kommunikation, welche die Risiken am Berg minimieren kann (Die Zungen entknoten.). Symbole werden in Frage gestellt (etwa das Gipfelkreuz) und die Gemeinschaft wird in den Vordergrund gerückt. Ausschlussmechanismen aufgrund von sozialer Klasse oder Herkunft und Herrschaftstechniken, welche die Anfänge des Alpinismus prägten, werden adressiert (etwa im Satz Berge heissen nicht., der sich auf Namensgebungen als Ausdruck von Macht bezieht).

Stefanie Salzmann, Herein, 2023, Wolle, naturgefärbt, Metallnieten, 180 × 320 cm, Foto: Studio Stucky

Stefanie Salzmann zeigt in einer Stallscheune im Nachbardorf Mühlebach eine Skulptur, welche sie aus der Wolle der Schwarznasenschafe ihrer Familie in Ried-Brig hergestellt hat. In ihrer künstlerischen Praxis erforscht sie die Materialität der Wolle und verarbeitet sie zu Skulpturen, Wandteppichen, Objekten und Installationen. Salzmann färbt die Wolle mit Naturfarben und hat in Ernen zusammen mit Dorfbewohner*innen im «Grosse Garte» einen Färbepflanzgarten angelegt. Im Rahmen eines Workshops gibt sie ihr Wissen der Techniken des Naturfärbens weiter. Ihre Installation Herein, deren Titel auf eine Einladung und einen Raum, das Übertreten einer Schwelle von draussen nach drinnen verweist, verwebt Tiere, Pflanzen und Menschen miteinander.

Raphael Stucky, Cage no Cage, 2023, 4K-Video, Sound, 17 min, Foto: Studio Stucky

Kern der Installation Cage no Cage von Raphael Stucky in einem Stadel ist eine neue Videoarbeit: Sie zeigt Spatzen, die in zu Türmen aufgestapelten Lebensmittelkisten spielen. Er lädt dazu ein, die uns so vertrauten Vögel genau zu beobachten. Dabei werden Stimmungen und Themen aufgenommen, die man unmittelbar vor der Tür wiederfindet: das Rufen der Vögel, Nebel und Wind; das Zusammenleben von Menschen und anderen Tieren; der Umgang mit Lebensmitteln zwischen Produktion, Verarbeitung und Verkauf; das Potenzial von Leerständen als Freiräume für neue Perspektiven. 

Willimann/Arai, Mit der Rhone wandern, 2023, Pilgerwanderung, 8. Etappe Oberwald–Rhonegletscher, Foto: Studio Stucky

Das Projekt Mit der Rhone wandern des Künstlerinnen-Duos Willimann/Arai findet an zwei Ausstellungsorten und neun Veranstaltungstagen zwischen Sion und dem Rhonegletscher statt: Es beginnt am 22. Juli 2023 mit einem Basisstations-Apéro und der Vernissage ihrer Ausstellung im Miniature-Kunstraum Lemme in Sion. Darauf wandern Nina Willimann & Mayumi Arai in Begleitung von interessierten Mitwandernden in fünf Tagen nach Ernen, wo ein Pilger-Apéro und ein öffentliches Gespräch mit dem Pfarrer Vitus Nwosu stattfindet, bevor sie drei weitere Etappen bis zum Rhonegletscher in Angriff nehmen. Die Rhone ist Begleiterin und Bezugspunkt der Wanderung und Zentrum der damit verbundenen künstlerischen Recherche: dem Sammeln von flussverbundenen Geschichten, in welchen die Rhone als handelndes Subjekt auftritt. Die gesammelten Geschichten zeichnen Willimann/Arai mittels Kartierungen auf und geben sie mündlich an andere Mitwandernde weiter. Die täglich entstehenden Zeichnungen wiederum schicken sie mit der Post nach Ernen, wo sie in einem Schaufenster ausgestellt werden. Die Wanderung ist öffentlich, alle Interessierten sind eingeladen, etappenweise daran teilzunehmen und ihre Geschichten über die Rhone mit den Künstlerinnen zu teilen.

www.zurfrohenaussicht.org